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Bundesgemeinschaft für deutsch-niederländische Zusammenarbeit

Freiheitsliebe und Bürgersinn. Das „Modell Niederlande“ und seine Rezeption im Alten Reich des 18. Jahrhunderts. Literatur – Pädagogik – Kunst – Architektur

Gerhard Oestreich sprach im Jahr 1968 im Begleitheft zu einer Ausstellung über die Geschichte der „geistige[n] Beziehungen“ zwischen den Niederlanden und Brandenburg-Preußen von einer „niederländische[n] Bewegung“, die die politische Kultur Europas im 16. und vor allem 17. Jahrhundert stark beeinflusst habe. Darunter verstand er eine „geistige Bewegung“, „die kaum ein Land unberührt [ließ]“ und deren Wirken er in Preußen insbesondere für die Felder des Staats- und Naturrechts (Lipsius- und Grotius-Rezeption) nachzeichnet. Er macht im Verlauf seines Aufsatzes die Entwicklung des preußischen Staates von der Rezeption niederländischer Einflüsse auf diesen Gebieten geradezu abhängig und führt sowohl die Toleranzpolitik, die spezifische Ausprägung des preußischen Beamtentums, die naturrechtliche Begründung eines absolutistischen Herrschaftsanspruchs, als auch den berüchtigten preußischen Militarismus auf die Einflüsse dieser „niederländischen Bewegung“ zurück, gleichwohl sich die politische und soziale Verfassung der frühneuzeitlichen niederländischen Republik so grundsätzlich vom preußischen Modell unterschied.

Oestreich machte mit dieser weitreichenden These den Aufschlag für eine Reihe von Studien, Ausstellungen und Tagungen der letzten Jahrzehnte, die den Einflüssen der niederländischen Republik auf das politische und kulturelle Leben in den Territorien des Reiches nachgegangen sind. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand dabei vor allem das 17. Jahrhundert. Dem goldenen Glanz dieses Jahrhunderts wurde eine besonders intensive Ausstrahlung zugesprochen, wohingegen die Aufmerksamkeit für die deutsche Wahrnehmung der Niederlande im 18. Jahrhundert bisher weit weniger stark ausgeprägt ist. Es fehlt außerdem an einer angemessenen Einbettung dieser bilateralen Kulturkontakte in den Zusammenhang einer gesamteuropäischen Aufklärung im ‚langen‘ 18. Jahrhundert. Thematisch lag der Fokus bisher vor allem auf den machtpolitischen und dynastischen Verflechtungen zwischen den Oraniern und den Askaniern bzw. den Hohenzollern. Daneben zeigte sich das Interesse der Forschung vor allem in einer primär als Kunstgeschichte ausgeprägten Kulturgeschichte sowie Aspekten der Ideen- und Philosophiegeschichte. In den letzten Jahren traten vermehrt Beiträge zur Literaturrezeption hinzu, jedoch fehlen noch immer wichtige Facetten der komplexen Kulturverflechtungen zwischen Deutschland und den Niederlanden, vor allem im 18. Jahrhundert, das für die niederländische Geschichte lange als „Age of Decline“ (Jonathan Israel) marginalisiert wurde. Die anhaltende Ausstrahlung der Niederlande im Zusammenhang einer europäischen Aufklärungsbewegung wird in der Folge mitunter unterschätzt, womit sich die Annahme ergibt, dass sich die andauernde Attraktivität eines „Modells Niederlande“ (Michael North) als ein lebendiger und reziproker Austauschprozess im Spannungsfeld von Nachahmung, Aneignung und Abgrenzung auch für das 18. Jahrhundert nachzeichnen lässt.

Die Tagung ist bildungshistorisch fundiert, versteht sich aber als interdisziplinäres Forum, um internationalen Dynamiken zwischen den Niederlanden und den deutschen Territorien als einem maßgeblichen Motor von politischen, religiösen, sozialen und kulturellen Entwicklungen im 18. Jahrhundert nachzugehen.

Tagungsprogramm

Quelle: H / Soz / Kult